Universitätsklinikum Heidelberg
Medizinische Klinik und Poliklinik
Abteilung für Allgemeine Klinische Medizin und Psychosomatik
Warum wird die Diagnose oft erst so spät gestellt?
Vielleicht ist es Ihnen auch so ergangen: Sie waren wegen Ihrer Beschwerden
beim Hausarzt und auch bei einigen weiteren Fachärzten. Zu Ihrer Verwunderung
konnten diese aber nichts Krankes an Ihrem Körper entdecken, obwohl sie
doch starke Beschwerden haben. Vielleicht hat man Ihnen sogar gesagt, Sie
würden sich das ganze nur einbilden. Vielleicht hat man auch Verlegenheitsdiagnosen
gestellt oder alles auf kleinere körperliche Auffälligkeiten geschoben,
wie z.B. einen leichten Verschleiß in den Röntgenbildern. Häufig
kam erst nach längerer Zeit jemand auf die Diagnose Fibromyalgie.
Leider wird Ihre Geschichte mit einiger Wahrscheinlichkeit so verlaufen sein.
Die Fibromyalgie kann nämlich sehr vielfältige Symptome verursachen,
die nicht nur bei dieser Erkrankung auftreten. So können die Ärzte
durch die Beschwerden zunächst in die Irre geführt werden. Bei Gelenkschmerzen
wurde zunächst an Gelenkrheuma, Gicht, Borreliose oder Arthrose gedacht
. Dieses ließ sich dann aber durch eine Blutentnahme und Röntgenbilder
ausschließen.
Wegen Durchfällen hat Ihr Arzt zuerst an eine Darmerkrankung oder Infektion
gedacht. Bei einer Stuhl- und Blutuntersuchung oder sogar einer Darmspiegelung
wurde aber nichts gefunden, was das Ausmaß Ihrer Beschwerden erklären
könnte.
Erst das Gesamtbild aller Ihrer Beschwerden läßt an eine Fibromyalgie
denken. Dazu kommt noch, dass sich die Fibromyalgie nicht durch einfache Tests
im Blut oder durch Röntgenuntersuchungen feststellen läßt.
Das wollen wir Ihnen im Folgenden erklären.
Gibt es auch Labor- und Röntgenveränderungen bei der Fibromyalgie?
Es gibt keine Laboruntersuchungen oder apparative Untersuchungen, welche
die Diagnose eindeutig beweisen können. Im Röntgenbild sieht man
meistens wenig, vielleicht erkennt man einen leichten Verschleiß. Auch
die Blutwerte und vor allem die speziellen Rheumawerte sind meist unauffällig.
Trotzdem sollten diese Untersuchungen einmal bei Ihnen durchgeführt worden
sein. Sie dienen der Abgrenzung gegenüber anderen rheumatischer Erkrankungen,
die sich durch ähnliche Beschwerden äußern könnten (z.B.
Rheumatoide Arthritis, Arthrose, Kollagenosen und Vaskulitiden).
Es gibt jedoch einige sehr aufwendige und invasive Untersuchungen, bei denen
man Veränderungen z.B. in der Rückenmarksflüssigkeit nachweisen
kann. So ist dort der Botenstoff "Substanz P" erhöht und ein
weiterer Botenstoff "Serotonin" erniedrigt. Diese Veränderungen
sind allerdings nicht beweisend, weil sie auch bei anderen Erkrankungen vorkommen
können. Außerdem gehören Nervenwasseruntersuchungen nicht
gerade zur Routinediagnostik, die man jedem Patienten zumuten könnte.
Einige weitere Auffälligkeiten, die sich auch messen lassen, wurden gefunden:
So ist bei Patienten mit einer Fibromyalgie die Schmerzschwelle niedriger
als bei Gesunden. Wenn Ihnen ein Tennisball auf den Fuß fällt,
fühlt sich das für Sie vielleicht eher an wie eine Bleikugel. Und
nicht nur die Schmerzschwelle ist niedriger, sondern auch eine größere
Geräuschempfindlichkeit, Lichtempfindlichkeit und Kälteempfindlichkeit
konnte wissenschaftlich nachgewiesen werden.
Wie wird die Diagnose gestellt?
Die Diagnose Fibromyalgie-Syndrom wird anhand einer körperlichen
Untersuchung und Ihrer typischen Krankengeschichte gestellt.
Seit 1990 sind die Diagnosekriterien vom American College of Rheumatology
festgeschrieben worden. Gefordert werden:
Ein primäres Fibromyalgie-Syndrom liegt vor, wenn Sie keine weitere rheumatische
Erkrankung haben. Von einem sekundären Fibromyalgie-Syndrom spricht man,
wenn bei Ihnen zusätzlich eine entzündliche rheumatische Erkrankung
vorliegt, was aber eher selten der Fall ist.
Wie ist der Verlauf der Erkrankung?
Meistens ist der Beginn der Erkrankung schleichend. Fibromyalgie-Patienten berichten oft, dass zu Beginn ihrer Beschwerden zunächst Schmerzen in einem eng umschriebenen Bereich vorlagen (z.B. Kreuzschmerzen, Tennisellbogen, Bandscheibenvorfall, etc.). Im Laufe der Zeit, meist über Jahre, weiten sich die Schmerzen dann immer weiter aus und können zum Teil den ganzen Körper betreffen.
Nur in seltenen Fällen beginnt die Erkrankung plötzlich mit Schmerzen überall, z.B. nach einem Virusinfekt oder nach einem Unfall.
Die Fibromyalgie verläuft oft chronisch, meistens über mehrere Jahre. Viele Patienten haben eine jahrelange Odyssee von Arzt zu Arzt hinter sich, bevor dann endlich die Diagnose Fibromyalgie gestellt wird - (im Durchschnitt erst nach sechs Jahren).
An dieser Stelle sollte betont werden, dass es sich trotz des chronischen Verlaufs nicht um eine den Körper verändernde Erkrankung handelt. Die Schmerzen mögen lästig und häufig auch quälend sein, aber sie sind ungefährlich. Gelenke und Muskeln gehen dabei nicht kaputt. Sie werden durch die Fibromyalgie niemals einen Rollstuhl benötigen. Auch die Lebenserwartung von Fibromyalgiepatienten ist völlig normal.
Da Sie die Erkrankung eventuell jedoch über Jahre begleiten kann, möchten wir Ihnen zu einem besseren Umgang mit ihr verhelfen.